14.02.2024

Barrierefreiheit im Web

Alles rund um das Thema Barrierefreiheit im Web. Ergänzend zu unserem Podcast gibt es hier noch einmal alle Informationen aus dem Interview mit unserer Expertin Isabel zum Nachlesen.

Ergänzend zu unserem Podcast gibt es hier noch einmal alle Informationen aus dem Interview mit Isabel zum Nachlesen.
 
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Barrierefreiheit im Web mit Isabel Daser

WebWednesday Episode #2

Was ist Barrierefreiheit?

Mein heutiger Interviewgast ist Isabel Daser, welche eine Expertin im Bereich Barrierefreiheit im Web ist und das Certified Professional in Accessibility Core Competencies Zertifikat erworben hat.

Unter Barrierefreiheit versteht man meistens, die Zugänglichkeit von Gebäuden oder öffentlichen Plätzen für alle, ohne auf fremde Hilfe angewiesen sein zu müssen. Diese Barrierefreiheit oder auch Accessibility genannt, gibt es auch im Web, also beim Design von Webseiten und Webanwendungen.

Menschen mit Behinderungen sollen sich im öffentlichen Raum möglichst frei bewegen können. Genauso haben diese Menschen das Recht sich barrierefrei im Internet zu bewegen, beispielsweise zum Einkaufen, um Informationen zu suchen wie Veranstaltungen, Adressen und vieles mehr.
Die Anforderungen der Barrierefreiheit im Internet wird von den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definiert und auch regelmässig aktualisiert.

Wie wird Barrierefreiheit im Internet gemessen?

Die WCAG hat 3 Konformitätsstufen A, AA, AAA definiert, wobei AAA die höchste Stufe ist. Der Standard für Webseiten vom Bund ist in der Schweiz AA. Zertifizierungen sind in der Schweiz keine Pflicht, können aber über access-for-all.ch gemacht werden.

Warum ist Barrierefreiheit so wichtig?

Weil es uns alle betrifft. Früher oder später. Auch in temporären Abschnitten des Lebens, nach einem Unfall oder einer Krankheit zum Beispiel. Accessibility ist also notwendig für einige und nützlich für alle.

Notwendig für einige, nützlich für alle

Für welche Menschen im speziellen ist Barrierefreiheit notwendig und warum?

Insbesondere sind barrierefreie Webseiten notwendig für

  1. Menschen mit Sehbehinderungen: Dazu gehören Blinde, Sehbehinderte und Farbenblinde. Barrierefreie Webseiten verwenden grosse Schriftgrössen, Kontrastfarben und sind kompatibel mit Screenreadern und Braille-Anzeigegeräten.

  2. Menschen mit Hörbeeinträchtigungen: Für gehörlose oder schwerhörige Menschen sind Untertitel, Transkriptionen von Audioinhalten und Gebärdensprachvideos wichtig.

  3. Menschen mit motorischen Einschränkungen: Personen mit eingeschränkter Handbewegung oder Koordination benötigen Webseiten, die ohne Mausbedienung, beispielsweise nur mit der Tastatur oder durch Sprachbefehle, bedienbar sind.

  4. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen: Einfaches, klares Design und verständliche Sprache helfen Personen mit Lernbehinderungen, Aufmerksamkeitsdefiziten oder anderen kognitiven Herausforderungen.

  5. Menschen mit vorübergehenden Einschränkungen: Zum Beispiel jemand mit einem gebrochenen Arm oder einer vorübergehenden Sehbeeinträchtigung.

  6. Ältere Menschen: Oft benötigen ältere Menschen ähnliche Anpassungen wie Menschen mit Seh-, Hör- oder motorischen Beeinträchtigungen.

  7. Menschen in unterschiedlichen Umgebungen: Zum Beispiel in einer lauten Umgebung, wo Audioinhalte nicht hörbar sind, oder in einer hellen Umgebung, wo Displays schwer lesbar sind.

Wie viele Menschen profitieren aktiv von der Barrierefreiheit von Webseiten?

Wie gesagt profitieren alle Menschen von einfach zugänglichen Webseiten. In der Schweiz nutzen rund 20% der Bevölkerung aktiv barrierefreie Webseiten. Diese Zahl wird nur schon aufgrund unserer Altersdemographie weiter steigen.

Auf welche Kriterien sollte Webdesigner:innen bei der Gestaltung einer barrierefreien Webseite achten ?

Es gibt einige Punkte, die es Usern einfach machen, mit einer Webseite zu interagieren. Einige davon sind zum Beispiel (keine abschliessende Aufzählung):

Visuelle Zugänglichkeit:

  • Kontrastreiche Farbgestaltung für bessere Lesbarkeit
  • Textgrösse, die anpassbar ist, ohne dass es zu Informationsverlust oder Funktionsstörungen kommt
  • Vermeidung von ausschliesslich farbbasierten Anweisungen, um Farbenblinde nicht auszuschliessen

Kompatibilität mit Screenreadern:

  • Einsatz von alt-Texten für Bilder, damit Screenreader diese vorlesen können
  • Strukturierte, logische HTML-Ordnung und Verwendung von Überschriften-Tags zur besseren Navigation
  • Bereitstellung von Untertiteln oder Transkripten für Audio- und Videoinhalte

Tastaturfreundlichkeit:

  • Die Webseite sollte vollständig über die Tastatur bedienbar sein, ohne dass eine Maus notwendig ist

Klarheit und Einfachheit:

  • Verwendung einfacher Sprache und klarer Anweisungen
  • Vermeidung übermässig komplexer Navigationselemente oder Inhaltsstrukturen
  • Klare und verständliche Beschriftung von Formularfeldern und Fehlermeldungen

Responsives Design:

  • Sicherstellung, dass die Webseite auf verschiedenen Geräten und Bildschirmgrössen gut funktioniert

Vermeidung von Zeitlimits:

  • Wenn Zeitlimits notwendig sind, sollte dem Benutzer die Möglichkeit gegeben werden, diese zu verlängern, beispielsweise bei sogenannten zwei Faktoren Authentifizierungen

Vermeidung von blinkenden oder flackernden Inhalten:

  • Dies kann für Personen mit Epilepsie oder anderen neurologischen Störungen gefährlich sein

Testen und Feedback:

  • Da diese Liste keineswegs abschliessend ist, ist eine regelmässige Überprüfung der Webseite mit verschiedenen Werkzeugen und Einholen von Feedback von Nutzern mit verschiedenen Beeinträchtigungen wichtig

Welche sind die häufigsten Herausforderungen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit auf Webseiten?

Wenn das Design nicht vorab schon mitgedacht wurde hinsichtlich Accessibility. Oder bei sehr komplexen Applikationen wie E-Banking mit zwei Faktoren Authentifizierung oder mit Zeitschaltern für Eingaben, Karten und Infografiken.

Es sollte frühzeitig an die oben genannten Kriterien gedacht werden, idealerweise bereits während der Konzeption der Webseite. In einem solchen Fall generiert die Umsetzung einer barrierefreien Website in der Regel keine Extrakosten.

Was sind die Beweggründe von Unternehmen und auch deiner Kunden Barrierefreiheit zu berücksichtigen oder zu erhöhen?

Dazu gehören unter anderem:

  • Maximierung der User-Gruppe um die oben genannten 20% 
  • Image Gewinn
  • Besseres SEO Ranking
  • Rechtssicherheit (Behörden haben die Pflicht Barrierefreiheit umzusetzen)

Es gibt zwar das Behindertengleichstellungsgesetzt und die UNO-Richtlinien, jedoch können Einzelpersonen in der Schweiz nicht klagen. Dies ist nur durch Gruppen möglich. Da die Strafen in der Schweiz sehr gering sind, geht es also mehr um die moralische Pflicht.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Webseite den geltenden Vorschriften entspricht?

Es gibt etliche Add-Ons für Browser, um die Barrierefreiheit zu testen. Diese sind jedoch derzeit keine seriöse Lösung. Auch rate ich sehr davon ab nachtäglich ein Add-On auf der Webseite zu installieren. Dies wird der Zielgruppe schlicht nicht gerecht.
Wer sicher gehen will alle Fehler zu finden lässt einen Profi ran. Ich empfehle hier zum Beispiel unseren «UX Review».

Was ist denn ein UX-Review? Könntest du uns kurz erklären, was da gemacht wird?

Wir testen die Website auf User Experience, d.h. wir bilden die verschiedenen User Journeys ab und legen hier den Focus auf die Kriterien der Barrierefreiheit. Denn wenn eine Webseite den Anforderungen an Accessibility entspricht, dann ist sie auch für alle User einfacher zu nutzen.

Gibt es Barrierefreiheit schon immer? Und wie haben sich die Standards für barrierefreie Webseiten in den letzten Jahren verändert?

Da sich die Sensibilität für Randgruppen prinzipiell bereits etwas verstärkt hat, sehen wir auch in der Barrierefreiheit eine bessere Wahrnehmung.
In der Schweiz ist es für Webseiten vom Bund Pflicht, diese barrierefrei zu erstellen. In Ausschreibungen wird dies mehr und mehr als Bedingung aufgeführt und auch die Awards beziehen es inzwischen mit ein.

Du hast das Zertifikat CPACC gemacht. Was hat dich dazu motiviert, dich auf diesem Fachgebiet weiterzubilden?

Das "Certified Professional in Accessibility Core Competencies" wird vom IAAP (Internat. Association of Accessibility) angeboten. Ich interessiere mich prinzipiell für die Rechte von Minderheiten und empfinde Barrierefreiheit eigentlich als eine Selbstverständlichkeit für unsere Gesellschaft.

Wie siehst du die Zukunft der Barrierefreiheit? Welche Entwicklungen erwarten uns?

Künstliche Intelligenz birgt grosse Chancen und auch grosse Risiken für Menschen mit Behinderungen. Chancen sind sicherlich Verbesserungen bei der Bildbeschreibung, Eyetracking, automatische Untertitel, automatisiertes Anpassen von Kontrasten oder Personalisierung des User Interfaces. Gefahren sehe ich beim Datenschutz von sehr sensiblen Daten.

Über die Autorin

Isabel Daser, Product Owner/ Project Manager

Ich liebe es mich inspirieren zu lassen, sei es von Büchern, Kunst, Architektur, Philosophie oder Menschen. Mein Motto? Keep moving. Dazu passend bin ich gerne mit dem Velo oder dem Segelboot unterwegs und geniesse das Leben in der Stadt.